„Unternehmen sollten die zunehmende Digitalisierung für sich nutzen.“

Neben dem Einzelhandel sind auch andere Branchen nach wie vor von der Corona-Pandemie betroffen und haben mit Einschränkungen zu kämpfen. Zu den Betroffenen zählt unter anderem die maritime Wirtschaft. Be- und Entladeprozesse verzögern sich und müssen neu organisiert werden. Für die IT-Systeme an Bord der Schiffe und in den Häfen haben rechtliche und sicherheitsrelevante Aspekte nun an besonderer Bedeutung gewonnen. Jens Vahlenkamp, Gesellschafter bei der Acipio-Consult GmbH, einer Gesellschaft für Industrie- und Schiffsversicherung und Schadensmanagement, aus Oldenburg erläutert im Gespräch, wie er die Lage der Versicherungen in der maritimen Branche einschätzt und wie der Kontakt zu Kunden aufrecht erhalten wird.

Herr Vahlenkamp, die Corona Krise zeigt uns Grenzen auf. Geben Sie Geschäftspartnern derzeit noch die Hand?

Jens Vahlenkamp: Nein, derzeit finden keine persönlichen Kontakte zu Geschäftspartnern statt. Viele, wie auch wir – die Acipio-Consult GmbH -, sind im Home-Office, so dass die Kontakte derzeit überwiegend via E-Mail, Online und Telefon stattfinden. Diese neue Situation ist äußerst gewöhnungsbedürftig. Vor meiner Selbständigkeit als Versicherungsmakler war ich fast 10 Jahre als Geschäftsführer einer Reederei im internationalen Schiffsbetrieb tätig und habe ähnliches noch nicht erlebt, obwohl wir dort auch mit verschiedenen Erkrankungen der Seeleute, wie zum Beispiel Malaria, Hepatitis und ähnlichem, zu tun hatten.

Mit welchen Fragen kommen ihre Kunden derzeit auf Sie zu? Wie laufen die Gespräche?

Jens Vahlenkamp: Die wesentlichen Fragen beziehen sich derzeit auf die Haftung des Geschäftsführers. Dieses Thema steht zwar für jeden Geschäftsführer, leitenden Angestellten, Beirat, Unternehmer oder Einzelkämpfer im Fokus, aber nicht immer mit der Sorgfalt und Erfordernis, wie es notwendig wäre, um die persönliche Inanspruchnahme abzuwenden. Aktuell haben wir durch den Quasi-Stillstand der weltweiten Wirtschaft erhebliche Risiken für Geschäftsführer, die vorher in dem Umfang nicht da waren. Zum Beispiel Themen wie Betriebsunterbrechung, Insolvenzreife, -antragspflicht, -aussetzung, Steueraussetzungen. Durch die Schließung von Ländergrenzen geraten Lieferketten in Gefahr, was zu Betriebsunterbrechungen führen kann. Warenlieferungen hängen in Häfen fest, Forderungen werden nicht bedient und wichtige Veranstaltungen fallen aus. Wer ist dafür als Verantwortlicher auszumachen? Häufig endet dies bei dem Geschäftsführer, dem ein Organisationsverschulden oder eine Pflichtverletzung vorgeworfen wird. Die sogenannte haftungsbegründende Kausalität, die den Schaden für das Unternehmen aufgrund des Tuns oder Unterlassen des Geschäftsführers bewertet.

Sie bieten also einen Mix aus Beratungen und Angeboten zu Versicherungen und haftungsrechtlichen Belangen für die maritime Wirtschaft an.

Jens Vahlenkamp: Ja, einer unserer Schwerpunkte ist das Haftungsrecht. Wir versuchen die haftungsrechtlichen Risiken zu erfassen. Im ersten Schritt geht es darum, die Haftungsfragen der Organe und des Unternehmens zu trennen. Im zweiten Schritt die unterschiedlichen haftungsrechtlichen Komponenten zu harmonisieren. In Haftungsfragen greifen die Versicherungen stets ineinander über. Wir kennen die Tätigkeiten einer Reederei und deren Tagesgeschäfte gut und können unser W+issen und unsere Erfahrungswerte aus der Praxis mit der Versicherungsthematik verknüpfen. Rechts- und steuerrechtliche Beratungen nehmen wir aber nicht vor. Aktuell sind wir dabei, ein weiteres eigenes Produkt für Reedereien zu entwerfen, welches einen direkten Bezug zur Corona-Krise hat.

Hilft Ihnen die zunehmende Digitalisierung bei Ihrer täglichen Arbeit? Wenn ja, wie hilft Ihnen diese?

Jens Vahlenkamp: In letzter Zeit bieten wir unsere Dienstleistungen verstärkt auch in Form von Online-Beratungsterminen an. Da helfen uns die aktuell zur Verfügung stehenden Systeme sehr, um mit unseren Kunden in Kontakt zu bleiben. Durch die zunehmende Digitalisierung sind auch neue Geschäftsmodelle entstanden. Betreiber von Online-Plattformen bis hin zu Inhabern von Web-Präsenzen müssen diverse Haftungsfragen beachten. Dafür bedarf es entsprechender Beratung und Lösungen. Diese sind grundsätzlich vorhanden, allerdings benötigen die Betreiber dazu Hilfestellungen von Fachleuten. 

Welche Unternehmen der maritimen Branche sind von der Krise nun am stärksten betroffen?

Jens Vahlenkamp: Das ist sicher sehr schwierig eine Gewichtung zu finden. Ich denke, dass alle Unternehmen der maritimen Branche sehr stark betroffen sind. Durch den Einbruch der produzierenden Industrie von Halb- und Fertigerzeugnissen, wie auch im Rohstoffbereich, zum Beispiel Stahlerzeugnisse, sinken die zu transportierenden Güter. Laderaum steht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Sind die Lager geleert und es wird nichts mehr nachproduziert, bleiben die Buchungsanfragen für Schiffskapazitäten aus. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Treibstoff, maschinelle Einrichtungen werden weniger belastet, was wiederum zu einer rückgehenden Nachfrage nach Ersatzteilen führt. Sinkende Einnahmen führen zu Stopps oder Aufschub von Umrüstungen oder dem Einbau neuer Systeme, et cetera. Von der maritimen Wirtschaft hängen ganze Industrie- und Dienstleistungszweige ab, die alle in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn die Schiffe mit sinkenden Einnahmen zu kämpfen haben.

Bieten „alte“ Versicherungen denn keinen Schutz gegen Corona, oder ist da eine Lücke entstanden?

Jens Vahlenkamp: Ich denke nicht, dass es etwas mit alt oder neu zu tun hat. Wir wissen alle, dass wir eine sehr sensible Wirtschaft haben, die auch aufgrund der „just-in-time“-Philosophie, der Billigproduktion et cetera nicht nur bis an die Grenzen ausgereizt wurde, sondern eben auch durch die Globalisierung sehr anfällig geworden ist. Die sogenannten „Arbeitsbänke“ wurden ins Ausland verlegt, klar abgegrenzte Märkte verwässern durch die Globalisierung immer stärker und die Gefahren von Produktions- und Liefereinbrüchen steigen dadurch überproportional an. Ein Krieg, ein Regierungsumsturz oder ähnlich Gravierendes hätte vermutlich vergleichbare Auswirkungen gehabt, wie aktuell Corona, wenn es um die Versorgung von Gütern geht. Die Gefahr einer Pandemie war schon immer Gegenstand des Erwartbaren, aber selten Bestandteil eines Versicherungsvertrages. Im Gegensatz zu – zum Beispiel Kriegs- und Terrorgefahr – sind diese unter bestimmten Auflagen versicherbar. Einen versicherbaren Produktions- und Lieferausfall aufgrund einer Pandemie gibt es meines Erachtens so nicht. Hier wird es sicherlich schwierig eine Pandemie feststellbar zu machen und ab welchem Zeitpunkt von einer Pandemie gesprochen werden kann. Wird das an Todesfällen festgemacht oder muss jedes Land nachweislich die Grenzen aufgrund einer benannten Pandemie schließen? Schwer zu sagen. Es hätte ja auch nur regional beschränkt sein können und wir hätten keine Pandemie, sondern eine Krankheit gehabt. Ich gehe davon aus, dass im Nachgang zu Corona diese Frage vor Gerichten ausgetragen wird, ob die Versicherer zum Beispiel bei Betriebsunterbrechung aufgrund einer Pandemie leisten müssen oder nicht.

Wie hoch schätzen Sie die Kosten für die Absicherung von Ausfällen, die durch die Corona Krise unmittelbar entstanden sind? Sagen wir mal, nur für Schiffe, die in Deutschland verwaltet werden.

Jens Vahlenkamp: Eine Absicherung von Ausfällen bedingt durch die Corona Krise kann ich nicht benennen. Hierfür gibt es keine spezifischen Versicherungen, die dieses Risiko abdecken. Insgesamt sehe ich jedoch, bezogen auf die wirtschaftlichen Ausfälle durch Corona, negative Entwicklungen auf uns zukommen. Ein „nach der Corona-Krise ist vor der Corona-Krise“ wird es nicht geben. Die eigentlichen Probleme werden mit etwas Zeitversatz noch auf uns zukommen. Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken brauchen wir neben dem bestehenden Geschäft auch Ideen für neue und innovative Dienstleistungen und Produkte. Aktuell entwickeln wir eine entsprechende Versicherung für Corona, die Verdienstausfällen entgegen wirkt und Reedereien die Sicherheit gibt, nicht in finanzielle Schieflage zu geraten, wenn Häfen aufgrund von Corona plötzlich schließen.

Können Sie betroffenen Kunden Tipps geben – was sollten sie beachten, damit Ausfälle abgesichert sind?

Jens Vahlenkamp: Unternehmen sollten ihre Verträge mit Kunden und Lieferanten genau prüfen, da diese wahrscheinlich Klauseln für „höhere Gewalt“ enthalten. In diesem Fall sind die Kunden und Lieferanten von der Einhaltung der normalen Zeit- und Kosten-/Zahlungsanforderungen teilweise oder ganz befreit, wenn es aufgrund des Corona Virus unmöglich geworden ist, die Lieferverpflichtung zu erfüllen. Für Unternehmen kommen jetzt neben den genannten Gefahren und Risiken weitere Hürden hinzu, die genau beachtet werden sollten. Die Bundesregierung hat zwar reagiert und kurzfristig liquiditätswirksame Erleichterungen geschaffen, aber auch hier droht für Unternehmen bereits das nächste haftungsrechtliche Dilemma. Zum einen betrifft das die steuerlichen Haftungsrisiken für Geschäftsführer in Zeiten der Corona Krise. Hier gilt unbedingt: “Die Pflichten gegenüber dem Finanzamt bleiben bestehen – achten Sie auf deren Einhaltung!“ Zum anderen die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei durch Corona begründeter Insolvenzreife. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist der Schutz vor Cyber-Attacken. Wie sich gerade in der Corona-Phase gezeigt hat, sind diese, auch durch den vermehrten Home-Office-Betrieb überproportional angestiegen. Über 30% mehr Cyberangriffe auf Unternehmen, in der Schifffahrt, laut Hansa-Online bis zu 400% Steigerung im Off-Shore-Segment. Das sind zusätzliche und leider noch immer vernachlässigte Risiken, die nicht unerhebliche haftungsauslösende Gefahren für den Geschäftsführer darstellen. Schäden aus Cyber-Angriffen stehen mittlerweile bei den Versicherern ganz oben an. Das sind aktuelle Stolpersteine, die Unternehmen unbedingt rechtlich für sich abklären müssen, da diese Verpflichtungen später enorme Probleme bereiten können. Losgelöst davon sollten die Unternehmen die zunehmende Digitalisierung für sich nutzen. Es hilft oftmals auch der Abwehr von Schäden, wenn innerbetriebliche Prozesse so digitalisiert sind, dass Daten sicher, ausreichend schnell und in notwendiger Qualität vorliegen.

 

Das Interview führte Jörg Bontjer.

 

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